Die Alice Schwarzer Stiftung hat zusammen mit der Giordano-Bruno-Stiftung und dem „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ diese Umfrage in Auftrag gegeben. Die Resultate sind politisch brisant. Allensbach-Chefin Prof. Renate Köcher konstatiert einerseits einen differenzierten Blick auf MuslimInnen, andererseits eine scharfe Ablehnung des politischen Islam. Hier ihr Bericht.
WIEWEIT GEHÖRT DER ISLAM NACH DEM EMPFINDEN DER BÜRGER ZU DEUTSCHLAND?
Die Zahl der Muslime hat in Deutschland in den letzten Jahren zugenommen. Nach den Hochrechnungen des Bundesamtes für Migration lebten 2015 zwischen 4,4 und 4,7 Millionen muslimische Religionsangehörige in Deutschland, Ende 2019 zwischen 5,3 und 5,6 Millionen. Entsprechend wächst auch der Anteil der Bevölkerung, die Muslime näher kennen. Dies zeigt eine aktuelle Befragung, die das „Institut für Demoskopie Allensbach“ im Auftrag der Alice Schwarzer Stiftung, der Giordano-Bruno-Stiftung und dem „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ durchführte.
Die Untersuchung stützt sich auf 1.027 Interviews mit einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab 16 Jahre. 45 Prozent der Bürger zählen Muslime zu ihrem Bekannten- oder Freundeskreis; 11 Prozent kennen einen, 34 Prozent mehrere muslimische Religionsangehörige näher. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen West und Ost, den Generationen und den sozialen Schichten.
Während die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung Muslime zum eigenen Bekannten- oder Freundeskreis zählt, gilt das nur für 22 Prozent der Ostdeutschen. In der jungen Generation haben 59 Prozent persönliche Kontakte, in der Generation ihrer Großeltern dagegen nur jeder Dritte. Auch die sozialen Schichten unterscheiden sich gravierend: In den höheren sozialen Schichten zählen 56 Prozent Muslime zu ihren Bekannten oder Freunden, in den schwächeren Schichten nur jeder Dritte.
Obwohl die Zahl der Muslime in Deutschland wächst und damit auch die persönlichen Kontakte mit muslimischen Religionsangehörigen, trifft die Aussage eines früheren Bundespräsidenten, dass der Islam heute zu Deutschland gehört, nach wie vor auf ein zwiespältiges Echo. Nur 5 Prozent der Bevölkerung stimmen dieser These ohne Einschränkung zu; 44 Prozent differenzieren zwischen dem friedlichen Islam, den sie durchaus als Teil Deutschlands sehen, und auf der anderen Seiten dem radikalen Islam; ebenso viele weisen die Aussage rigoros zurück, für sie gehört der Islam grundsätzlich nicht zu Deutschland.
West und Ost unterscheiden sich in dieser Haltung kaum, dagegen sowohl die Generationen wie die sozialen Schichten. Je höher die soziale Schicht, desto mehr wird diese Aussage uneingeschränkt oder zumindest eingeschränkt anerkannt. Die rigorose Absage kommt dagegen weit überdurchschnittlich aus den schwächeren sozialen Schichten: Von ihnen lehnen 55 Prozent die These, dass der Islam heute zu Deutschland gehört, rigoros ab, in den höheren Sozialschichten dagegen nur 36 Prozent.
Noch stärker fallen die Reaktionen der verschiedenen Generationen auseinander. Während von den 60-Jährigen und Älteren 55 Prozent die These, dass der Islam zu Deutschland gehöre, rigoros ablehnen, gilt dies nur für 37 Prozent der 30- bis 44-Jährigen und 30 Prozent der unter 30-Jährigen. Die Jüngeren differenzieren überdurchschnittlich zwischen den friedlichen Formen des Islam und radikalen Gruppierungen. So vertreten 50 Prozent der unter 30-Jährigen die Position, dass die friedlichen Formen des Islam durchaus zu Deutschland gehören, während auch in dieser Generation nur eine kleine Minderheit von 6 Prozent der Aussage, dass der Islam zu Deutschland gehöre, ohne Einschränkung zustimmt.
Die Reaktion auf die These hängt auch in hohem Maße davon ab, wieweit der Islam generell mit Bedrohungen verbunden wird, oder nur bestimmte Gruppen oder ob vom Islam nach Einschätzung der Befragten keinerlei Bedrohung ausgeht. Unter denjenigen, die keinerlei Bedrohung erkennen können, stimmen 37 Prozent der These, dass der Islam zu Deutschland gehört, ohne jede Einschränkung zu; nur 6 Prozent dieser Gruppe lehnen die These rigoros ab.
Umgekehrt lehnen über 80 Prozent derjenigen, die den Islam generell mit Gefahren verbinden, die These rundweg ab; die, die auch hier differenzieren, dass die Bedrohung nur von bestimmten Gruppen ausgeht, reagieren gleichzeitig auch weit überdurchschnittlich differenziert auf diese These: 59 Prozent derjenigen, die nur bestimmte Gruppen des Islam mit Gefahren verbinden, trennen auch bei der Definition der Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland zwischen den friedlichen Formen und radikalen Gruppen.
RELIGIONSFREIHEIT FÜR ALLE RELIGIONEN – MIT EINSCHRÄNKUNGEN
Für die große Mehrheit steht die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit nicht zur Debatte. Zwei Drittel finden es richtig, dass dieses Recht für alle Religionen gilt, ob für Christen oder muslimische Religionsangehörige. Nur knapp jeder Fünfte hält dies für falsch. Die verschiedenen Generationen unterscheiden sich in dieser Frage weitaus weniger als die sozialen Schichten; je höher die soziale Schicht, desto größer ist die Unterstützung für eine Religionsfreiheit, die alle Religionen einschließt. In den schwächeren sozialen Schichten halten dies 54 Prozent für richtig, in der Mittelschicht knapp zwei Drittel, in den höheren sozialen Schichten 79 Prozent.
Nur diejenigen, die den Islam insgesamt als Bedrohung empfinden, sprechen sich mit relativer Mehrheit gegen eine Religionsfreiheit aus, die für Muslime genauso gilt wie für Christen. Dieser Kreis umfasst, wie an späterer Stelle noch dokumentiert wird, ein gutes Viertel der Bevölkerung, während die große Mehrheit davon ausgeht, dass nur von bestimmten Gruppen Gefahren ausgehen. Diejenigen, die Gefahren nicht pauschal dem Islam insgesamt zuschreiben, sondern bestimmten Gruppen, sprechen sich mit überwältigender Mehrheit für eine freie Religionsausübung aus, die muslimische Religionsangehörige genauso einschließt wie Christen.
Das Votum der großen Mehrheit für die freie Religionsausübung wird allerdings nicht auf alle religiösen Symbole ausgedehnt. So befürwortet die große Mehrheit selektive Einschränkungen des Rechts von Musliminnen, ein Kopftuch zu tragen; dies gilt insbesondere für Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen und den öffentlichen Dienst. 61 Prozent der Bevölkerung sprechen sich dafür aus, das Recht von Lehrerinnen an öffentlichen Schulen Kopftuch zu tragen, einzuschränken, 58 Prozent generell für Angestellte und Beamtinnen im öffentlichen Dienst, 56 Prozent für Erzieherinnen in Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch in Bezug auf Musliminnen unter 14 Jahre hält die Mehrheit es für angebracht, das Recht, ein Kopftuch zu tragen, einzuschränken.
Anders sieht die Bevölkerung ein Kopftuchverbot für Mitarbeiterinnen in Supermärkten oder in anderen Betrieben: Hier plädiert nur eine Minderheit für Einschränkungen. Knapp ein Viertel der Bevölkerung votiert generell gegen Einschränkungen und möchte Musliminnen das Tragen von Kopftüchern generell erlauben.
Überdurchschnittlich wird diese liberale Position von unter 30-Jährigen und von denjenigen, die mehrere Muslime im Bekannten- oder Freundeskreis haben, vertreten; von ihnen spricht sich rund jeder Dritte generell gegen ein Kopftuchverbot bzw. Einschränkungen des Rechts, ein Kopftuch zu tragen, aus. Vor allem beeinflusst jedoch die Grundhaltung zum Islam und die Einschätzung des Gefahrenpotentials die Haltung zum Tragen von Kopftüchern; in der kleinen Gruppe, die mit dem Islam keinerlei Bedrohung verbindet, sprechen sich zwei Drittel gegen ein Kopftuchverbot aus.
Auch diejenigen, die sich für die freie Religionsausübung für alle Religionen aussprechen, plädieren mehrheitlich für Einschränkungen des Rechtes von Musliminnen, ein Kopftuch zu tragen. Trotz der breiten Unterstützung für Einschränkungen wird das Kopftuch von der Bevölkerung noch weniger kritisch gesehen als die Burka. 73 Prozent der Bevölkerung sprechen sich dafür aus, dass Tragen einer Burka generell zu verbieten, lediglich 17 Prozent votieren für selektive Einschränkungen, die das Tragen der Burka in bestimmten Bereichen wie beispielsweise vor Gericht, in Schulen oder in Behörden verbieten.
Lediglich 5 Prozent sprechen sich hier grundsätzlich gegen ein Verbot aus. Die Trendanalyse zeigt, dass sich die Haltung der Bevölkerung in den letzten Jahren signifikant verändert hat und die Burka heute weitaus kritischer gesehen wird als noch vor fünf Jahren. 2016 sprachen sich 56 Prozent für ein generelles Verbot der Burka aus, 32 Prozent für selektive Verbote.
In Deutschland ist nicht nur die freie Religionsausübung gesetzlich verankert, sondern begrenzt auch der Respekt vor religiösen Überzeugungen. So kann Gotteslästerung in Deutschland unter bestimmten Umständen bestraft werden. Während das Recht auf freie Religionsausübung jedoch von der überwältigenden Mehrheitlich unterstützt wird, hält nur eine Minderheit die strafbewährte Einforderung von Respekt gegenüber Glaubensinhalten für richtig. Nur 27 Prozent vertreten diese Position, während sich 46 Prozent gegen Strafen aussprechen. Ostdeutschland hat noch mehr als Westdeutschland Probleme mit der Regelung, dass Gotteslästerung unter bestimmten Umständen bestraft werden kann.
Diese Grundhaltung prägt auch die Positionierung der Bürger im Karikaturenstreit, der vor fast einem Jahrzehnt eine Debatte entfachte, wieweit die religiösen Empfindungen von muslimischen Religionsangehörigen dem Recht auf Meinungsfreiheit Grenzen setzen. Damals waren viele angesichts der heftigen Reaktionen insbesondere in islamisch geprägten Ländern verunsichert. 30 Prozent unterstützten damals ein Verbot von Karikaturen des Propheten Mohammed, während 44 Prozent der Freiheit von Meinung und Kunst den Vorrang gaben. Ein Viertel der Bevölkerung enthielt sich damals der Stimme.
Aktuell sieht das Meinungsbild deutlich anders aus: 59 Prozent sprechen sich für den Vorrang der Meinungsfreiheit aus, nur noch rund ein Fünftel für ein Verbot solcher Karikaturen, um die religiösen Gefühle von muslimischen Religionsangehörigen zu respektieren.
Männer votieren noch mehr als Frauen für den Vorrang der Meinungsfreiheit, die jüngere und mittlere Generation mehr als die 60-Jährigen und Älteren. Vor allem sprechen sich jedoch die höheren sozialen Schichten dafür aus, die Meinungsfreiheit nicht aus Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle von muslimischen Religionsangehörigen einzuschränken. 74 Prozent der höheren sozialen Schichten vertreten diese Position, dagegen nur 50 Prozent der schwächeren sozialen Schichten.
EINSCHÄTZUNG DES GEFAHRENPOTENTIALS
Das Islambild der Bevölkerung ist seit Langem von den Aktionen radikaler Gruppen geprägt. Die überwältigende Mehrheit assoziiert den Islam mit Fanatismus, Intoleranz, missionarischem Eifer, Gewaltbereitschaft und Terrorismus, nur eine kleine Minderheit mit Achtung der Menschenrechte, Friedfertigkeit und Toleranz. Die meisten differenzieren jedoch durchaus zwischen dem Islam insgesamt und bestimmten Gruppen innerhalb des Islam. Nur 28 Prozent sehen in dem Islam insgesamt eine Bedrohung, 63 Prozent dagegen nur in bestimmten Gruppen. Der Anteil der Bürger, die mit dem Islam keinerlei Gefahren verbinden, liegt lediglich bei 5 Prozent.
Die junge Generation und diejenigen, die unter ihren Bekannten mehrere muslimische Religionsangehörige haben, differenzieren überdurchschnittlich zwischen dem Islam insgesamt und bestimmten Gruppierungen: So sehen nur 11 Prozent der unter 30-Jährigen im Islam insgesamt eine Bedrohung, auch nur 17 Prozent derjenigen, die persönliche Kontakte zu Muslimen haben, während über 70 Prozent das Gefahrenpotential bei bestimmten Gruppen innerhalb des Islam verorten.
Konkret fürchten die Bürger vor allem Terroranschläge, aber auch Veränderungen der Gesellschaft in einem ganz umfassenden Sinn. So befürchten 55 Prozent einen wachsenden Einfluss des Islam in Deutschland, der auch die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gefährden könnte wie auch generell die Art zu leben. 50 Prozent halten eine Gefährdung der Gleichberechtigung für eine reale Gefahr, 49 Prozent die Gefährdung der Kultur und Lebensweise; 40 Prozent fürchten, das selbst Einschränkungen der Meinungsfreiheit nicht ausgeschlossen wären. Auch die Unterwanderung des demokratischen Rechtsstaates durch Muslime ist für 48 Prozent der Bevölkerung eine reale Gefahr. Jeder Dritte erwartet auch, dass die Akzeptanz der Homosexualität in Frage gestellt wird.
Diejenigen, die nicht nur bestimmte Gruppen, sondern den Islam insgesamt als Gefahr sehen, betonen alle Risiken weit überdurchschnittlich, insbesondere die Sorge vor einem wachsenden Einfluss des Islam, vor einer Vergrößerung des Bevölkerungsanteils mit muslimischem Hintergrund durch die Flüchtlingsbewegungen, vor der Einschränkung der Meinungsfreiheit und einer Unterwanderung des demokratischen Rechtsstaates.
Die höheren sozialen Schichten haben weitaus weniger als die schwächeren sozialen Schichten die Sorge, dass der demokratische Rechtsstaat unterwandert wird; auch generell ein wachsender Einfluss des Islam in Deutschland wie auch ein wachsender Anteil der Muslime durch Flüchtlingsbewegungen beunruhigen die höheren sozialen Schichten deutlich weniger als insbesondere die schwächeren sozialen Schichten und teilweise auch die Mittelschicht. So fürchten annähernd zwei Drittel der schwächeren sozialen Schichten einen wachsenden Einfluss des Islam, aber nur 48 Prozent der höheren sozialen Schichten. Dass immer mehr Flüchtlinge mit muslimischem Hintergrund zu uns kommen, ist in den Augen von zwei Dritteln der schwächeren sozialen Schichten eine Gefahrenquelle, eine Auffassung, die auch die Mehrheit der Mittelschicht, aber nur 44 Prozent der höheren sozialen Schichten teilen.
Die größte Sorge der Bevölkerung gilt Terroranschlägen. Auch hier differenziert die überwältigende Mehrheitlich zwischen dem Gefahrenpotential des Islam insgesamt und dem radikaler Gruppen. 77 Prozent ordnen diese Art von Gewalt bestimmten radikalen Gruppierungen des Islam zu, während nur 24 Prozent überzeugt sind, dass diese Gewalt untrennbar mit dem Islam verbunden ist. Beide Positionen überdecken sich teilweise; 10 Prozent sind überzeugt, dass diese Art von Gewalt nur von bestimmten radikalen Gruppierungen des Islam ausgeht, sind aber gleichzeitig der Auffassung, dass diese Gewalt untrennbar mit dem Islam verbunden ist.
Dass die Terroranschläge, bei denen sich Täter ausdrücklich auf den Islam bezogen, nichts mit dem Islam zu tun haben, glauben 14 Prozent der Bevölkerung, 42 Prozent derjenigen, die dem Islam generell kein nennenswertes Gefahrenpotential zuordnen.
Als Ursachen und Auslöser von Terroranschlägen, deren Täter sich zum Islam bekennen, sieht die Bevölkerung vor allem eine radikale Interpretation des Koran, die zu Gewalt aufruft und dass damit in manchen Moscheen Hass und Intoleranz verbreitet werden. Die Mehrheit geht aber auch von starken Einflüssen von außen aus: 63 Prozent sehen eine der Hauptursachen für diese Anschläge in dem Einfluss islamischer Staaten auf Muslime in Deutschland und Europa.
Auch der „Clash of Cultures“ ist nach Überzeugung der großen Mehrheit eine Antriebsfeder für terroristische Anschläge: 67 Prozent sehen in der Ablehnung der westlichen Kultur und Lebensweise eine wesentliche Ursache für solche Anschläge. Gleichzeitig formuliert die Bevölkerung einen Vorwurf an die deutsche und auch europäische Politik: Die große Mehrheit ist überzeugt, dass die radikalen Formen des Islam zu wenig bekämpft werden.
Dies sind aus Sicht der großen Mehrheit die wichtigsten Ursachen für Terroranschläge, dagegen deutlich weniger westliche Militäreinsätze in der muslimischen Welt oder auch die Lebensbedingungen in muslimischen Ländern, fehlende Zukunftsperspektiven von Muslimen in Europa und Diskriminierungen. Lediglich 32 Prozent gehen davon aus, dass das Gefühl der Benachteiligung Terroranschläge evoziert, noch weniger, nämlich 23 Prozent, fehlende Zukunftsperspektiven von Muslimen in Europa. Am wenigsten sieht die Bevölkerung Diskriminierungen aus Auslöser: Lediglich 9 Prozent glauben, dass eine Diskriminierung von Muslimen in Deutschland und anderen europäischen Ländern eine wesentliche Ursache für Terroranschläge ist.
Auch die Politik Israels gegenüber Palästinensern und anderen muslimischen Staaten hält nur eine Minderheit für einen der Auslöser von Terroranschlägen. 23 Prozent der Bevölkerung sehen hier eine wesentliche Ursache; dies bedeutet allerdings nicht, dass die Bevölkerung nicht um die Spannungen zwischen dem Islam und Israel weiß und diesen Spannungen durchaus große Bedeutung im Zusammenhang mit Anschlägen auf jüdische Einrichtungen zuschreibt.
Als hauptverantwortlich für Anschläge auf Juden und jüdische Einrichtungen gelten zwar vor allem Rechtsextreme, aber in hohem Maße auch radikale Islamisten. 66 Prozent der Bevölkerung sind überzeugt, dass antisemitische Gewalttaten vor allem durch Rechtsextreme begangen werden, 53 Prozent sehen jedoch genauso radikale Islamisten als eine Gruppierung, von der Gefahren für Juden und jüdische Einrichtungen ausgehen. Auch Personen, in deren Bekanntenkreis es mehrere muslimische Religionsangehörige gibt, sind annähernd im selben Umfang wie die Bevölkerung überzeugt, dass antisemitische Gewalttaten auch von radikalen Islamisten ausgehen.
Bei der Bewertung der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass der größte Teil der Interviews vor der Eskalation der Gewalt zwischen Palästinensern und Israel durchgeführt wurde. Durch diese Eskalation sind die Spannungen zwischen islamischen Staaten und Israel zweifelsohne wieder verstärkt ins Bewusstsein gerückt. Dies lässt erwarten, dass diese Spannungen in nächster Zeit verstärkt die Einschätzungen prägen, wieweit auch von islamischen Gruppen Gefahren für jüdische Einrichtungen ausgehen.
KRITISCHE PUNKTE: RELATIVIERUNG DER DEUTSCHEN RECHTSORDNUNG UND DIE AUSLANDSFINANZIERUNG
Die Diskussion über den Umgang mit islamischen Organisationen wird bisher in Deutschland nur sehr verhalten geführt. Die Bevölkerung hat jedoch durchaus klare Vorstellungen, wo die roten Linien liegen, deren Überschreitung nicht akzeptabel ist. Ein zentraler Punkt ist die Akzeptanz des Grundgesetzes: Die überwältigende Mehrheit hält es für richtig, islamische Organisationen zu verbieten, die religiöse Gebote über das Grundgesetz stellen; die Mehrheit fordert auch, dass islamische Geistliche an deutschen Universitäten ausgebildet werden um sicherzustellen, dass sie das Grundgesetz über das religiöse Gesetz stellen.
Daneben sieht die Bevölkerung eine Auslandsfinanzierung von islamischen Organisationen und auch Geistlichen kritisch. So fordern 66 Prozent, dass vom Ausland finanzierte islamische Organisationen nicht das Recht haben sollten, an deutschen Schulen Islamunterricht zu halten. 58 Prozent halten es darüber hinaus für richtig, dass Imame nicht das Recht erhalten, in Deutschland in Moscheen zu predigen, wenn sie vom Ausland finanziert werden.
Generell sprechen sich 61 Prozent der Bevölkerung für ein Verbot jeglicher Auslandsfinanzierung von Moscheen oder islamischen Organisationen aus. Je höher die Bedrohung durch den Islam eingeschätzt wird, desto mehr wird diese Forderung unterstützt. So unterstützen 80 Prozent derjenigen, die im Islam generell eine Gefahr sehen, ein Verbot jeglicher Auslandsfinanzierung, 56 Prozent derjenigen, die das Gefahrenpotential bestimmten Gruppierungen zuordnen und nur 30 Prozent derjenigen, die mit dem Islam keinerlei Bedrohung assoziieren. Nur in dieser letzten Gruppe, die in der Bevölkerung eine kleine Minderheit darstellt, hat eine starke relative Mehrheit kein Problem mit einer Auslandsfinanzierung von Moscheen und islamischen Organisationen. In der Bevölkerung möchten dagegen nur 20 Prozent eine solche Finanzierung erlauben.
Umstritten ist die Frage, wieweit der deutsche Staat islamische Organisationen unterstützen sollte. 41 Prozent der Bevölkerung sind dafür, islamischen Organisationen keinerlei finanzielle Unterstützung zu gewähren, während 42 Prozent dafür votieren, islamischen Organisationen, die sich um Integration und Verständigung bemühen, durchaus auch finanziell zu helfen.
Dass islamische Organisationen in Deutschland ähnlich gefördert und finanziert werden sollten wie christliche Organisationen, ist allerdings Position einer kleinen Minderheit: 12 Prozent der Bevölkerung hielten dies für richtig; auch wenn die überwältigende Mehrheit für die freie Religionsausübung für alle Religionen votiert, folgt daraus für die meisten nicht eine Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften durch den Staat.
Die sozialen Schichten trennen sich teilweise bei der Frage, wieweit islamische Organisationen durch den deutschen Staat unterstützt werden sollten. Die schwächeren sozialen Schichten stehen einer finanziellen Unterstützung wesentlich kritischer gegenüber als die höheren sozialen Schichten. So sprechen sich 49 Prozent in den schwächeren sozialen Schichten gegen jegliche finanzielle Unterstützung islamischer Organisationen aus, dagegen nur knapp jeder Dritte in den höheren sozialen Schichten.
Umgekehrt plädieren 55 Prozent in den höheren sozialen Schichten dafür, islamische Organisationen, die sich um Integration und Verständigung bemühen, stärker finanziell zu unterstützen; eine Forderung, die weder in der Mittelschicht und noch weniger in den schwächeren sozialen Schichten von der Mehrheit unterstützt wird. Quer durch alle sozialen Schichten ist die Akzeptanz des Grundgesetzes zentral; die Forderung, daher auch islamische Geistliche an deutschen Universitäten auszubilden, um sicherzustellen, dass sie das Grundgesetz über das religiöse Gesetz stellen, wird jedoch nur von einer Minderheit in den schwächeren sozialen Schichten befürwortet, dagegen von der Mehrheit der Mittelschicht, der großen Mehrheit in den höheren sozialen Schichten.
Dass die deutschen Parteien keine intensive Debatte über die wichtige Frage nach dem richtigen Umgang mit dem Islam bzw. besonders über die radikalen Gruppierungen des Islam führen, birgt die Gefahr, dass diese wichtige Diskussion von den meisten Parteien nicht wesentlich beeinflusst wird. Die Bürger messen diesem Thema seit Jahren große Bedeutung zu und haben sehr klar konturierte Positionen.
Im Blick auf die politischen Parteien in Deutschland wird jedoch nur einer Partei in nennenswertem Umfang zugeschrieben, dass sie sich besonders für den Kampf gegen den radikalen Islam engagiert, der AfD: 43 Prozent der Bevölkerung sehen die AfD als Anwalt dieses Anliegens, mit großem Abstand folgen die Unionsparteien mit 21 Prozent, während alle übrigen Parteien in dieser Diskussion nach dem Eindruck der Bürger praktisch keine Rolle spielen. Es ist eine riskante Konstellation, wenn die überwältigende Mehrheit bei einem wichtigen Anliegen keine der gemäßigten Parteien als Anwalt identifiziert.
Prof. Dr. Renate Köcher
INSTITUT FÜR DEMOSKOPIE ALLENSBACH
Allensbach am Bodensee, 20. Mai 2021