Prostitution: Die Allensbach-Umfrage

Anfang September wurden im Auftrag der Stiftung 1.043 Menschen zu ihrer Meinung befragt. Hier interpretiert Prof. Dr. Renate Köcher (Foto) die Ergebnisse.
Prof. Dr. Renate Köcher über die Ergebnisse der Allensbach Studie. - Foto: Reiner Zensen/imago images

„Prostitution und Prostitutionsverbot im Spiegel der öffentlichen Meinung“, so lautet der Titel dieser Umfrage. Das „Institut für Demoskopie Allensbach“ befragte dazu Anfang September im Auftrag der „Alice Schwarzer Stiftung“ 1.043 Menschen. Anlass: Die vermutete Kluft zwischen der Haltung der Politik zur Prostitution und der der Bevölkerung. Und in der Tat: Die Kluft ist groß. Während der Gesetzgeber unterstellt, Prostitution sei ein quasi normales Gewerbe, sieht die Bevölkerung das ganz anders. Eine überwältigende Mehrheit geht von der Gewalttätigkeit von Zuhältern und Freiern aus, in der Illegalität. Gleichzeitig aber fordert nur eine Minderheit ein Verbot der Prostitution. Wie kann das sein? Prof. Dr. Renate Köcher, die Leiterin des Allensbach-Instituts, kommentiert nachstehend die Umfrage.

Für die Bevölkerung in Deutschland, wo es kein Prostitutionsverbot gibt, steht außer Frage, dass Prostitution und insbesondere die Lage von Prostitu­ierten in Deutschland ein Problemfeld ist, geprägt von Missständen, Illegalität und Risiken. Dies zeigt eine aktuelle Studie des „Instituts für Demoskopie Allensbach“, die im Auftrag der „Alice Schwarzer Stiftung“ im September 2020 durchgeführt wurde. Die langjährigen Bestrebungen, Prostitution aus der Illegalität zu holen und die Situation von Prostituierten zu verbessern, sind nach dem Eindruck der überwältigenden Mehrheit fehlgeschlagen. Lediglich 20 Prozent glauben, dass Prostituierte heute besser vor Gewalt und Ausbeu­tung geschützt sind, 76 Prozent sind überzeugt, dass sich ein großer Teil der Prostitution illegal abspielt. Die große Mehrheit geht auch davon aus, dass es für Politik und Justiz außerordentlich schwierig ist, Missstände in diesem Bereich erfolgreich zu bekämpfen.

Die Situation von Prostituierten assoziiert die große Mehrheit mit Zwang, Gewalt und Ausbeutung. Rund 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind überzeugt, dass viele zur Prostitution gezwungen, häufig misshandelt und ausgebeutet werden. 59 Prozent gehen auch davon aus, dass Prostituierte oft Erniedrigungen durch ihre Freier ausgesetzt sind. Nur eine Minderheit von 14 Prozent kann sich vorstellen, dass viele Prostituierte ihre Tätigkeit gerne ausüben oder dass die materiellen Anreize zumindest eine begrenzte Kompensation bieten können. Gleichzeitig ist die Mehrheit überzeugt, dass Prostituierte kaum auf Hilfen bauen können, wenn sie aussteigen wollen.

Frauen beurteilen die Situation von Prostituierten kritischer als Männer. Das gilt insbesondere für die Überzeugung, dass viele zur Prostitution gezwungen werden und von Seiten ihrer Freier Erniedrigungen ausgesetzt sind. Beide Einschätzungen werden jedoch auch von den meisten Männern geteilt. So sind 75 Prozent der Frauen und auch 68 Prozent der Männer überzeugt, dass Prostituierte zur Prostitution gezwungen werden. 63 Prozent der Frauen, 54 Prozent der Männer gehen davon aus, dass Prostituierte häufiger durch ihre Freier erniedrigt werden. Frauen zweifeln auch mehr als Männer, dass Prostituierte, die aussteigen wollen, auf Ausstiegshilfen bauen können.

Die Tätigkeit von Prostituierten wird mit gravierenden Risiken verbunden, insbesondere dass sie zur Prostitution gezwungen werden, Opfer von Gewalt und Diskriminie­rung werden und seelisch unter ihrer Tätigkeit leiden, aber auch gesund­heitlichen Gefahren ausgesetzt sind. 71 Prozent der Bevölkerung verbinden mit Prostitution das Risiko der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Diskriminierung, 69 Prozent seelische Belastungen, 68 Prozent die Gefahr, sich mit Geschlechtskrankheiten zu infi­zieren, neuerdings auch das Risiko einer Corona-Infektion. Zwei Drittel halten Prostituierte auch für drogengefährdet. Auch diese Risiken werden von Frauen und Männern ähnlich gesehen. Frauen assoziieren tendenziell mit Prostitution noch mehr Risiken als Männer, speziell die seeli­schen Belastungen deutlich häufiger: 64 Prozent der Männer, aber 74 Prozent der Frauen verbinden mit Prostitution das Risiko, dass Prostituierte seelisch unter ihrer Tätigkeit leiden.

Die Gesetzeslage in Deutschland wird diesen Missständen und Risiken nach Einschätzung der meisten nicht gerecht. Das gilt insbesondere für die Gesetze gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution, die lediglich 12 Prozent für ausreichend halten. 57 Prozent fordern strengere Gesetze und härtere Strafen, in der weiblichen Bevölkerung 60 Prozent. 31 Prozent trauen sich kein Urteil zu. Auch bei den Urteilsbereiten kennen viele die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht ge­nauer und urteilen daher aufgrund der Wahrnehmung der Missstände, ohne immer zwischen Gesetzeslage und un­zureichendem Vollzug der Gesetze trennen zu können.

In Bezug auf den generellen Schutz von Prostituierten traut sich knapp die Hälfte der Bevölkerung kein Urteil zu, ob die gesetzlichen Rahmenbedingun­gen ausreichen. Von denjenigen, die sich ein Urteil zutrauen, hält die große Mehrheit die Gesetze für unzureichend: Nur 15 Prozent der Bevölkerung (und 11 Prozent der Frauen) gehen davon aus, dass die Gesetze ausreichen, die in Deutschland Prostitution regeln und Prostituierte gegen Gewalt und Ausbeutung schützen sollen.

Angesichts der Einschätzung der Situation von Prostituierten und der Risiken, denen sie ausgesetzt sind, überrascht der hohe Anteil der Bevölkerung, der Prostitution gleichzeitig als „normalen Beruf“ bewertet, so er „freiwillig“ ausgeübt wird. Der These „Wenn eine Frau freiwillig als Prostituierte arbeitet, hat sie für mich einen Beruf wie jeder andere auch“ stimmen

47 Prozent der Bürger zu, während nur 35 Prozent widersprechen. Hier gehen die Positionen von Männern und Frauen allerdings deutlich weiter auseinander als bei der Einschätzung der Lage und Risiken, denen Prostituierte ausgesetzt sind. 54 Prozent der Männer, aber nur 40 Prozent der Frauen schließen sich der Meinung an, Prosti­tution sei „ein Beruf wie jeder andere“. 28 Prozent der Männer und 43 Prozent der Frauen widersprechen dezidiert, das Prostitution ein Beruf wie jeder andere sei. Die sozialen Schich­ten unterscheiden sich dagegen bei dieser Position kaum.

Dass Prostitution von vielen als Problemzone, aber gleichzeitig – eine freiwillige Ausübung dieser Tätigkeit vorausgesetzt – als „Beruf wie jeder andere auch“ bewertet wird, hat meh­rere Gründe. Zum einen wird Prostitution wie generell Sexualität von der großen Mehrheit der Bevölkerung der privaten Sphäre zugeordnet; zum anderen halten es viele für ein Gebot der Toleranz, individuelle Entschei­dungen für eine bestimmte Tätigkeit oder Lebensweise zu akzeptieren, auch wenn man diese Entscheidung nicht nachvollziehen kann.

Die Position, dass Prostitution „ein Beruf wie jeder andere“ sei, wird jedoch nicht nur durch die Einschätzung der realen Situation und der Risiken für Prostituierte relativiert, sondern auch durch die Überzeugung, dass Prostitution eine Tabuzone sei. Während fast die Hälfte der Bevölkerung unter der Voraussetzung, dass sich eine Frau freiwillig für diese Tätigkeit entscheidet, dies dann als normalen Beruf bewertet, geht gleichzeitig nicht einmal jeder Fünfte davon aus, dass eine Frau eine solche Entschei­dung auch freimütig kommunizieren und vertreten würde. Nur 18 Prozent glauben, dass eine Frau, die freiwillig als Prostituierte arbeitet, dies zumindest im eigenen Freundeskreis kommuniziert. 43 Prozent sind sich sicher, dass sie dies selbst im Freundeskreis verschweigen würde.

Noch stärker ist der Besuch von Prostituierten tabuisiert: Lediglich 4 Prozent der Bevölkerung gehen davon aus, dass ein Mann, der die Dienste von Prostituierten in Anspruch nimmt, dies freimütig erwähnen würde; die überwältigende Mehrheit ist überzeugt, dass Männer, die zu Prostituierten gehen, dies verschweigen würden.

Entsprechend ist die überwältigende Mehrheit auch überzeugt, dass die Inanspruchnahme der Dienste von Prostituierten weiter verbreitet ist als angenommen. 66 Prozent der Bevölkerung (69 Prozent der Frauen) gehen davon aus, dass viel mehr Männer die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen, als man denkt. Sie sind überzeugt, dass ein Mann, der zugibt, bei einer Prostituierten gewesen zu sein, an Ansehen verliert.

Insgesamt gehen 38 Prozent der Bevölkerung davon aus, dass es unter Männern weit verbreitet ist, die Dienste von Prostituierten in Anspruch zu nehmen, weitere 23 Prozent halten es für begrenzt verbreitet. Dass nur eine kleine Minderheit die Dienste von Prostituierten nutzt, glauben lediglich 12 Prozent.

Trotz der kritischen Einschätzung der Realität von Prostitution, den weit verbreiteten Assoziationen mit Menschenhandel, Gewalt und Ausbeutung spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung gegen ein Prostitutionsverbot aus. 52 Prozent sind gegen, 18 Prozent für ein Verbot, knapp jeder Dritte ist in dieser Frage unentschieden. Die Gegner eines Prostitutionsverbotes rekrutieren sich überdurchschnittlich aus West­deutschland, der männlichen Bevölkerung, der mittleren Generation und den höheren Bildungsschichten. Frauen sprechen sich überdurchschnittlich für ein Verbot aus; auch von ihnen positioniert sich jedoch eine starke relative Mehrheit gegen ein Verbot.

Nur eine Minderheit weiß, dass mehrere europäische Länder bereits ein Verbot beschlossen haben und die Inanspruchnahme der Dienste von Prostituierten strafrechtlich verfolgen. 37 Prozent wussten von diesen Verboten, in den höheren sozialen Schichten 44 Prozent. Entsprechend verfügt die große Mehrheit auch nicht über Informationen, wie sich die Erfahrungen in diesen Ländern mit Prostitutionsverboten entwickeln.

Dass sich die Mehrheit gegen ein Prostitutionsverbot in Deutschland ausspricht, hat mehrere Gründe. Zum einen zweifelt die große Mehrheit am Erfolg eines solchen Verbotes – gerade vor diesem Hintergrund wären natürlich die Erfahrungen anderer Länder interessant. Nur 17 Prozent glauben, dass ein Prostitutionsverbot die inten­dierte Wirkung entfalten würde; 68 Prozent sind dagegen überzeugt, dass es auch bei einem Verbot genauso viel Prostitution gäbe wie zuvor. Insbesondere die Chancen, mit Hilfe eines Verbotes Zwangsprostitution und Menschenhandel zu bekämpfen, hält die Bevölkerung – und zwar Männer wie Frauen – für äußerst gering. Jeder Vierte ist sogar überzeugt, dass sich die Missstände bei einem Verbot vergrößern würden.

Die Einschätzung, dass einem Pros­titutionsverbot kein Erfolg beschieden wäre, hat auch mit dem Grundfatalismus zu tun, dass dieser Bereich generell nur schwer zu beeinflussen ist. Die überwältigende Mehrheit hält Prostitution für ein Phänomen, das es in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten gegeben hat und auch künftig geben wird. 79 Prozent sehen Prostitution als zeitlose Begleiterscheinung von Gesellschaften (75 Prozent der Frauen).

Es gibt jedoch auch ein Argument, das die Mehrheit zugunsten von Prostitution ins Feld führt. So sind 56 Prozent überzeugt, dass es ohne Prostitution mehr Vergewaltigungen gäbe; Männer führen dieses Argument zu 61 Prozent ins Feld, aber auch 51 Prozent der Frauen.

29 Prozent der Frauen halten eine Geldbuße für Freier wie in Schweden für richtig (Männer 17 Prozent). Die Haltung in dieser Frage hängt in erster Linie davon ab, ob man grundsätzlich ein Prostitutionsverbot in Deutschland befürwortet oder ablehnt. Von den Befürwortern eines Prostitutionsverbotes halten auch 82 Prozent eine Geldbuße für gerechtfertigt (Gegner 8 Prozent). Eine begrenzte Veränderung der Frageformulierung führt näher an die Gründe heran, warum die Mehrheit sich gegen ein Prostitutionsverbot ausspricht. Wenn gegen Strafen das Argument angeführt wird, dass Kontakte zu Prostituierten Privatsache sein sollten, für die sich der Staat nicht zu interessieren hat, folgen 61 Prozent diesem Argument; 19 Prozent sprechen sich auch unter dem Eindruck dieses Arguments für Strafen aus. Die Haltung von Frauen verändert sich durch diesen veränderten Fokus der Fragestel­lung stärker als die von Männern.

Zwei Motive beeinflussen die Haltung zu einem Prostitutionsverbot vor allem: Die Einschätzung, dass dieser Bereich immer Bestandteil menschlicher Gesellschaften war und nur begrenzt zu regulieren ist, und die Tendenz, Sexualität generell der Privatsphäre zuzuordnen.

Insgesamt fällt auf, dass Frauen zwar eine tendenziell kritischere Haltung einnehmen und offener für ein Prostitutionsverbot sind, aber nicht eine grundlegend andere Position vertreten als Männer. Es gibt Themen, bei denen die Einstellungen von Männern und Frauen weitaus stärker von einem wahrgenommenen Interessenkonflikt geprägt sind wie beispielsweise Gleichberechtigung. Doch gehen 32 Prozent der Frauen davon aus, dass sich das Frauenbild von Männern verändert, wenn sie häufiger die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen; 37 Prozent meinen, dass es eigentlich nicht normal sein dürfe, Sex bei einer Frau zu kaufen; 26 Prozent fordern, Prostitution als Verstoß gegen die Menschenwürde von Frauen zu ächten.

PROF. DR. RENATE KÖCHER
INSTITUT FÜR DEMOSKOPIE ALLENSBACH

Basis der Umfrage: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 12023